Das Kindeswohl im familienrechtlichen Kontext


Der Begriff des Kindeswohls spielt im Rahmen sämtlicher kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten eine zentrale Rolle. Das Kindeswohl ist der Maßstab für sämtliche Entscheidungen und Regelungen in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren und immer als vorrangiges Interesse zu berücksichtigen.

So wird eine Umgangsregelung immer dergestalt getroffen und festgesetzt, wie sie dem Kindeswohl am besten entspricht. Gleiches gilt in Sorgerechtsverfahren. Eine gerichtliche Entscheidung kann nur dergestalt ergehen, dass diese im Einzelfall für das Wohl des betroffenen Kindes am besten ist. Auch Eltern haben ihre Entscheidungen stets am Wohl des gemeinsamen Kindes zu messen. Auch, wenn dies bedeutet, dass Kompromisse eingegangen werden müssen.

Was bedeutet „Kindeswohl“?

Das Kindeswohl umfasst das gesamte Wohlergehen, die Entwicklung und Bedürfnisse des minderjährigen Kindes und wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Eine genaue Definition des Kindeswohls sieht das Gesetz nicht vor, sondern ist lediglich als unbestimmter Rechtsbegriff verankert.

Die Rechtsprechung hat über Jahre hinweg Kriterien entwickelt, die das Kindeswohl näher bestimmen. So bezieht sich das Kindeswohl auf die physische, emotionale und psychische Gesundheit, Unversehrtheit und Sicherheit des Kindes sowie auf seine Bildung und allgemeine Entwicklung zu einer selbstständigen, gewissenhaften und verantwortungsvollen Person. Außerdem knüpft das Kindeswohl an Stabilität und Kontinuität in den Beziehungen zu den Kindeseltern oder sorgenberechtigten Personen an.

Was sind die Kriterien für das Kindeswohl?

Zur Beurteilung, ob das Kindeswohl gewahrt oder gefährdet ist, wurden folgende Kriterien entwickelt:

Bindungsprinzip

Das Bindungsprinzip bezieht sich auf die Bedeutung der Bindung zwischen einem Kind und seinen Eltern oder weiteren sozial-familiären Bezugspersonen. Es besagt, dass ein Kind ein Recht auf eine stabile, enge und liebevolle Beziehung zu beiden Elternteilen hat. Ausnahme hiervon kann nur sein, wenn diese Beziehung im dem Wohl des Kindes widerspricht.

Es muss also diskutiert und erwogen werden, welche Beziehung das Kind zu den beiden Elternteilen oder den weiteren Bezugspersonen hat und welche Auswirkungen eine Änderung des Umgangs- oder Sorgerechts auf die Bindung des Kindes zu den beiden Elternteilen haben könnte.

Das Bindungsprinzip betont ganz deutlich, dass es im Interesse des Kindes liegt, eine gute Beziehung zu beiden Elternteilen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Das bedeutet auch, dass sich die Eltern angehalten sind, auch in emotionalen Situationen das Kind zu unterstützen, die Bindung zum anderen Elternteil aufrechtzuerhalten und zu intensivieren.

Förderungsprinzip

Das Förderungsprinzip besagt, dass Entscheidungen in kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten stets berücksichtigen müssen, dass das Kind in einem für es möglichst positiven und stabilen Umfeld aufwächst.  Das heißt, es ist genau zu differenzieren, welcher Elternteil aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten fähiger ist, die Pflege, Betreuung und Versorgung des Kindes sicherzustellen und zu gewährleisten, um dem Kind mehr Unterstützung in der Entwicklung und für den Aufbau einer eigenen Persönlichkeit zu geben.

Kontinuitätsprinzip

Das Kontinuitätsprinzip bestimmt, dass die Lebensumstände für das Kind auch nach einer Trennung der Eltern möglichst einheitlich, stabil und unverändert beibehalten bleiben sollen, da zu starke Veränderungen für das Kind eine massive Belastung darstellen können. Entscheidend ist insofern, welcher Elternteil die gleichmäßigere und übliche Betreuung des Kindes gewährleisten kann. Haben vor der Trennung beide Elternteile einen maßgeblichen Beitrag zu der Betreuung und Versorgung des Kindes beigetragen, soll diese Praxis auch für die Zeit nach dem familiären Zusammenleben erfolgen.

Außerdem soll dem Kontinuitätsprinzip folgend das Kind in seinem räumlichen sozialen und vertrauten Umfeld bleiben und so wenig Änderungen wie möglich erleben müssen. Schule, Freizeitaktivitäten und Freunde sollen nicht durch die Trennung und einen möglicherweise damit einhergehenden Umzug aufgegeben werden müssen. Bestehende soziale Beziehungen und das gewohnte und vertraute Umfeld sollen gewahrt bleiben. Mit zunehmendem Alter des Kindes wird dieser Aspekt stets an Bedeutung gewinnen.

Kindeswille

Der Wille des Kindes und dessen Interessen sind so weit wie möglich in Entscheidungen über kundschaftsrechtliche Angelegenheiten zu berücksichtigen.

Allerdings ist der Kindeswille nicht in jedem Fall ausschlaggebend. Insbesondere bei jüngeren Kindern, die noch nicht in der Lage sind, ihre Interessen angemessen zum Ausdruck zu bringen und die Tragweite ihrer Äußerungen zu reflektieren und einzuschätzen, wiegt das Gewicht des Kindeswillens deutlich weniger als bei älteren Kindern oder Jugendlichen, da der Wille von jüngeren Kindern oftmals durch einen Elternteil beeinflusst oder mit Versprechungen oder Geschenken instrumentalisiert wird und die Kinder daher den Willen dieses Elternteils wiedergeben. In der Regel wird ab dem Alter von etwa 12 Jahren vermutet, dass das Kind in der Lage ist, seinen Willen angemessen zu äußern und zu begründen. Je nach Entwicklungsstand des Kindes kann dessen Wille bereits früher oder aber auch erst später an Bedeutung gewinnen.

Der geäußerte Wille des Kindes wird jedoch nicht schematisch umgesetzt, sondern wird in der Gesamtbetrachtung des Einzelfalls im Kontext des Kindeswohls und den weiteren verschiedenen Interessen berücksichtigt. Daher kann es sein, dass eine Entscheidung entgegen dem geäußerten Willen des Kindes getroffen wird, wenn die weiteren Kriterien des Kindeswohls hierfür sprechen.

Wann liegt eine Kindeswohlgefährdung vor?

Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, § 1666 Abs. 1 BGB.

Es genügt bereits eine gegenwärtige oder bereits unmittelbar bevorstehende Gefahr, bei der die weitere Entwicklung eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Je größer der drohende Schaden wiegt, desto geringere Anforderungen sind an die die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.

Eine Kindeswohlgefährdung muss nicht zwingend durch ein aktives Handeln, wie beispielsweise körperliche oder psychische Gewalt, erfolgen, sondern kann auch durch Unterlassen, dergestalt von Vernachlässigungen, herbeigeführt werden.

Besteht der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung und wird dieser angezeigt, entsteht hierdurch eins staatliches Eingriffsrecht und die Möglichkeit, im Rahmen dieses übergeordneten Schutzauftrages in die Elternrechte, wie das Umgangs– und Sorgerecht, einzugreifen.

Ein Verdacht einer Kindeswohlgefährdung ist dringend gegenüber dem Jugendamt anzuzeigen. Das Jugendamt hat die Aufgabe, den Verdacht zu prüfen und gegebenenfalls kurzfristige Maßnahmen zum Schutz des betroffenen Kindes einzuleiten. Eine solche Maßnahme kann beispielsweise die Inobhutnahme des Kindes sein. Das Jugendamt meldet die Prüfung der Kindeswohlgefährdung auch dem zuständigen Familiengericht. Dieses prüft sodann, ob weitere Maßnahme zum Schutz des Kindes, wie die Herausnahme des Kindes aus der Familie, ein Verbot der Kontaktaufnahme zu dem Kind oder die teilweise bzw. vollständige Einschränkung des Sorgerechts der Eltern oder ein Umgangsausschluss, anzuordnen sind.